ePA für alle: Kassen-Impulspapier sieht keine Rechtsproblematik

10.12.2022, Sven C. Preusker
Digital Health, Politik & Wirtschaft

In einem kürzlich veröffentlichten Impulspapier unter dem Titel „Opt-out für die ePA gesetzlich verankern!“ hat der Wissenschaftliche Beirat für digitale Transformation der AOK Nordost dargelegt, warum die Bundesregierung Tempo machen müsse bei der im Koalitionsvertrag versprochenen Umstellung der elektronischen Patientenakte auf ein Opt-out-Verfahren. Rechtliche Bedenken gegen ein Gesetz zum Opt-out-Verfahren für die ePA greifen aus Sicht des Beirats zu kurz. Indem der Staat die Digitalisierung des Gesundheitswesens beschleunige, erfülle er die grundrechtliche Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit, so der Beirat.

„Deutschland muss sich beeilen, die Opt-out-Lösung umzusetzen, denn die Vorteile überwiegen glasklar,“ so Inga Bergen, Sprecherin des Expertengremiums. Im Jahr 2022 könne es nicht mehr sein, dass Patientinnen und Patienten mit Papierstapeln durch die Gegend laufen, doppelt untersucht werden und vielleicht Medikamente erhalten, die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. All das könne man mit einer flächendeckend verfügbaren ePA deutlich verbessern.

Auch die medizinische Forschung könne aus Sicht des Beirats durch eine flächendeckend verbreitete ePA vorangebracht werden. Ab 2023 sollen ePA-Nutzer die Möglichkeit bekommen, ihre Daten freiwillig zu spenden. Dies könne helfen, um künftig schneller als bislang wirksame Behandlungen für neuartige Erkrankungen wie etwa Long Covid entwickeln zu können.

Um die Digitalisierung im Gesundheitswesen im Einvernehmen mit Ärzteverbänden, Krankenkassen und weiteren Beteiligten zu beschleunigen, hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im September einen Strategieprozess gestartet. Im Rahmen dieses Prozesses soll auch ein Gesetz für die Opt-out-Regelung der ePA erarbeitet werden. Die Digitalisierungsstrategie soll laut BMG im Frühjahr 2023 vorgestellt werden. Ziel des Ministeriums ist, dass im Jahr 2025 mindestens 80 Prozent der GKV-Versicherten über eine ePA verfügen. Ohne eine „ePA für alle“ durch die Opt-out-Regelung scheine dieses ambitionierte Ziel laut Beirat unerreichbar zu sein, so die Experten: Rund zwei Jahre nach dem Start der ePA im Januar 2021 haben sich laut TI-Dashboard der gematik erst rund 0,7 Prozent der Versicherten selbst eine ePA ihrer Krankenkasse angelegt – meist in Form einer App, die kostenlos heruntergeladen werden kann.

Verfassungsrechtliche Bedenken von Datenschützern gegen eine Opt-out-Regelung für die ePA können aus Sicht des Beirats entkräftet werden. Die ePA-Nutzung sei derzeit rein freiwillig und solle es auch bleiben. Dass die Versicherten, die keine ePA wollen, künftig aktiv werden müssen, ändere daran nichts. Dieses System könne nämlich so ausgestaltet werden, dass alle Versicherten eindeutig, unmissverständlich und leicht verständlich auf die Gesetzesänderung und die mit ihr verbundenen Rechtsfolgen hingewiesen würden, so der Beirat. Die Experten empfehlen, im geplanten Gesetz zur Opt-out-Lösung die technisch-organisatorischen Möglichkeiten zur individuellen Nutzung der ePA zu regeln. „Wichtig ist: Es muss einfach sein, es muss verständlich sein, und auch der Zugang muss einfach geregelt sein, damit die Hürde nicht zu groß ist für die Bevölkerung, die ePA zu nutzen. Geklärt werden muss zudem, ob die ePA automatisch mit den Gesundheitsdaten befüllt wird oder ob es dazu noch einer Freigabe im Einzelfall bedarf“, so Bergen. Der Widerspruch gegen die ePA-Nutzung sollte per Post oder per E-Mail, jeweils mit Eingangsbestätigung, ermöglicht werden.

Dass die Versicherten sich durch eine Opt-out-Regelung künftig aktiv mit der ePA auseinandersetzen müssen, ist für den Beirat nicht nur zumutbar, sondern diene sogar dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schließlich sei ein stärker digitalisiertes Gesundheitssystem unverzichtbar für den nachhaltigen Schutz von Leben und Gesundheit.

Das Positionspapier „Opt-out für die ePA gesetzlich verankern!“ steht hier zum Download zur Verfügung.

Die Vereinbarkeit einer Opt-out-Lösung mit der DSGVO hatte 2021 auch die von der Stiftung Münch beauftragte Studie „Die elektronische Patientenakte und das europäische Datenschutzrecht“ von Prof. Christoph Krönke untersucht. Sie kam zu dem Schluss, dass insbesondere das strikte Opt-in bei Anlage und Zugriff für Nutzer und Leistungserbringer überdacht und stattdessen mit einem gestuften Opt-out geregelt werden sollte. Grundlage und Gegenstand des Vergleichs bildeten die Regelungen über die elektronischen Patientenakten in Österreich, Estland und Spanien, die deutschen Regeln über eine elektronische Patientenakte (ePA) gegenübergestellt wurden. 

In den untersuchten Ländern erhalten die Versicherten alle automatisch eine Akte, die befüllt wird. Durch Opt-out, der unterschiedlich gestaltet ist, können die Patienten der Anlage und dem Befüllen der Akte sowie dem Zugriff widersprechen oder Dokumente für verschiedene Gruppen löschen oder zumindest verschatten lassen, so dass sie zwar vorhanden, aber nicht lesbar sind. Einzig Deutschland hatte sich bei der verpflichtenden Einführung der ePA noch für einen strikten Opt-in entschieden – inzwischen ist allerdings auch das BMG von diesem Weg abgewichen und hat die Opt-out-Lösung auf den Weg gebracht.

Die Studie ist hier erhältlich.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 23-2022. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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