GKV-SV: Digitale Gesundheitsanwendungen werden den Erwartungen bisher nicht gerecht

11.01.2023, Sven C. Preusker
Digital Health, Krankenversicherung

Der GKV-Spitzenverband hat jetzt seinen zweiten Bericht zum Versorgungsgeschehen mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Deutschen Bundestag vorgelegt und sieht diese noch nicht in der Versorgung angekommen.

Der zweite DiGA-Bericht umfasst zwei Jahre des „Fast-Track“-Zulassungsverfahrens für DiGA in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), mit dem die Einführung beschleunigt und die Akzeptanz erhöht werden sollten. DiGA stehen gesetzlich Krankenversicherten seit September 2020 zur Verfügung. Von den im Berichtszeitraum insgesamt aufgenommenen 36 Anwendungen wurden drei DiGA zwischenzeitlich wieder gestrichen, sodass 33 Anwendungen im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sind.

Die zentrale Erkenntnis für den Verband ist, dass die „Apps auf Rezept“ noch nicht in der Versorgung angekommen sind. Seit Anfang 2022 bewege sich die monatliche Menge der eingelösten Freischaltcodes auf einem nahezu unveränderten Niveau zwischen 10.000 und 12.000 DiGA. Insgesamt wurden bis Ende September DiGA rund 164.000 mal in Anspruch genommen, dies entspricht Leistungsausgaben der GKV für DiGA in Höhe von 55,5 Millionen Euro.

Verordnung vor allem durch Hausärzte

DiGA gelangen auch den Daten des zweiten Berichts zufolge weiterhin mehrheitlich über eine ärztliche bzw. psychotherapeutische Verordnung zu den Patientinnen und Patienten (89 Prozent). DiGA-Genehmigungen durch die Krankenkasse nehmen eine eher untergeordnete Rolle ein. Über ein Drittel der Verordnungen wurde durch Hausärztinnen und Hausärzte ausgestellt, es folgen Verordnungen durch Fachärztinnen und Fachärzte für Orthopädie (18 Prozent) und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (17 Prozent). Bei einem Blick auf die Patientinnen und Patienten zeigt sich, dass mit 70 Prozent aller eingelösten Freischaltcodes insbesondere Frauen DiGA in Anspruch genommen haben. Das durchschnittliche Alter der Patientinnen und Patienten lag bei 45 Jahren.

„Mit viel Vorschusslorbeeren sind DiGA in die Versorgung gestartet. Aber den Erwartungen sind sie bisher nicht gerecht geworden. Die Gesundheits-Apps stecken auch nach über zwei Jahren noch in den Kinderschuhen. Dabei sehen wir durchaus großes Potenzial, wie DiGA die Patientinnen und Patienten beim Erkennen oder Überwachen von Krankheiten unterstützen können. Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt aber, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen. Trotz dieser unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden. Hier sollte der Gesetzgeber schleunigst einen Riegel vorschieben. Die Krankenkassen sollen eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten sichern und keine Wirtschaftsförderung mit Beitragsgeldern betreiben“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Zur Erläuterung: herstellende Unternehmen können im ersten Jahr der Aufnahme einen beliebig hohen Preis festlegen, der von der gesetzlichen Krankenversicherung für diesen Zeitraum erstattet werden muss, unabhängig davon, ob ein Nutzen nachgewiesen wurde oder nicht. Das Preisspektrum reicht dabei von 119 Euro für eine Einmallizenz bis zu 952 Euro für 90 Tage.

Kein Nutzennachweis? Preise rauf!

Die Auswertung zeige, dass die durchschnittliche Preishöhe von DiGA mit fehlendem Nutzennachweis deutlich steigt, die Preisentwicklung der durchschnittlichen Herstellerpreise dauerhaft aufgenommener DiGA sei hingegen konstant bis leicht sinkend, so der Verband. Im Durchschnitt lägen die Herstellerpreise für eine DiGA bei 500 Euro – in der Regel für ein Quartal. Die Herstellerpreise seien damit gegenüber dem Durchschnittswert aus dem ersten Jahr der DiGA nochmals um 20 Prozent gestiegen. Auch die zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen Höchstbeträge würden dieses sehr hohe Preisniveau nicht nennenswert begrenzen. Vielmehr eröffneten sie den DiGA-Herstellenden auch über das erste Jahr hinaus große Spielräume für hohe Preise. So liege z. B. der Höchstbetrag für DiGA im Bereich der psychischen Erkrankungen bei 599,40 Euro für ein Quartal. Die momentan teuerste DiGA (optimune) mit 952 Euro gehöre zum Anwendungsbereich der onkologischen Erkrankungen und werde aktuell nicht von einem Höchstbetrag erfasst, so der GKV-SV.

Darüber hinaus würden die Herstellerpreise auch in keinem Verhältnis zu den bereits verhandelten bzw. durch die Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbeträgen nach § 134 SGB V stehen, die erst zum zweiten Jahr mit dem GKV-Spitzenverband vereinbart werden müssen und an die Stelle der zuvor gültigen, von den Herstellern aufgerufenen Preise treten, heißt es weiter. So lägen im Berichtszeitraum Vergütungsbeträge für sechs DiGA vor, die von 189 Euro bis 243 Euro reichen und im Durchschnitt bei 215 Euro liegen. Abschläge von bis zu 70 Prozent würden hierbei zeigen, dass die beim Eintritt in die Regelversorgung von den Herstellern aufgerufenen Preise nicht angemessen seien, moniert der Verband.

Stoff-Ahnis: „Es gibt augenscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen. Ganz im Gegenteil: Selbst bei DiGA, die ihren Patientennutzen nicht innerhalb eines Jahres belegen konnten und deren Erprobungszeitraum deshalb verlängert wurde, kam es zu deutlichen Preiserhöhungen. Wenn man bedenkt, dass DiGA derzeit ausschließlich ein Add-on zur bestehenden Versorgung sind, führt diese beliebige Preisbildung und die zusätzliche Möglichkeit der Preiserhöhung im Erprobungszeitraum zu großen Verwerfungen bei der Vergütung von GKV-Leistungen mit nachgewiesenem Nutzen. Das unterläuft jeglichen Maßstab der Wirtschaftlichkeit in der GKV. Wenn es für die Patientinnen und Patienten keinen Mehrwert gibt, dann sollte überlegt werden, ob das Geld der Beitragszahlenden nicht an anderer Stelle besser eingesetzt wäre.“

 

Ausgleichsansprüche – aber gibt es wirklich Geld zurück?

Der GKV-SV schreibt in deinem Bericht, dass bislang drei Erprobungs-DiGA aufgrund eines nicht nachgewiesenen Nutzens komplett und drei DiGA in Teilen wieder aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen worden seien. Hieraus würden Ausgleichsansprüche seitens der GKV resultieren, wenn die Erprobung über das erste Jahr hinausgeht. Eine Finanzierung der in Teilen und in Gänze gestrichenen DiGA durch die GKV musste jedoch dennoch erfolgen, obgleich in diesen Fällen keine Versorgungsverbesserungen für die Versicherten nachgewiesen werden konnten. Aktuelle Beispiele mit laufenden Insolvenzverfahren würden verdeutlichen, dass die GKV neben der Belastung durch die beliebig festgelegten Preise der Hersteller im ersten Jahr das Ausfallrisiko bei erheblichen Nacherstattungsansprüchen trage.

Forderungen des GKV-SV

Damit DiGA in der Versorgung ankommen, braucht es aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes drei zentrale Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen: Es dürften ausschließlich DiGA mit einem klaren medizinischen Nutzen für die Patientinnen und Patienten aufgenommen werden. Außerdem müsse das Gebot der Wirtschaftlichkeit gewahrt bleiben, indem die verhandelten Preise vom ersten Tag der Aufnahme in die Regelversorgung gelten. Und schlussendlich bedürfe es einer Harmonisierung der Rahmenbedingungen für DiGA mit anderen GKV-Leistungsbereichen, indem die Leistungserbringenden und der GKV-Spitzenverband in den Zulassungsprozess mit einbezogen werden. So würden Vertrauen und Akzeptanz bei der Ärzteschaft sowie bei den Patientinnen und Patienten gesteigert, schreibt der Verband.

Das Thema Digitale Gesundheitsanwendungen behandelt im Übrigen auch das im medhochzwei Verlag erschienene Buch „Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) – Rechtliche Grundlagen, innovative Technologien und smarte Köpfe“, herausgegeben von Prof. Alexandra Jorzig und Prof. Dr. David Matusiewicz. Mehr Informationen dazu hier.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 01-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

Anzeige
Anzeige