Interview mit Anita Sackl: Erfahrungen mit Community Nursing-Pilotprojekten in Österreich

05.07.2023, medhochzwei
Pflege, Versorgung

Anita Sackl MPH, MAS ist bei der Gesundheit Österreich GmbH in der Abteilung Langzeitpflege als Health Expert tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind das Schulungs- und Vernetzungskonzept des Pilotprojektes Community Nursing und das Pflegereporting. Ein zunehmend bedeutender weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt in Fragestellungen der Klimakompetenz der Betreuung und Pflege.

medhochzwei: Seit 2021 läuft in Österreich ein Pilotprojekt zum Community Nursing. Können Sie die Rahmenbedingungen und Eckdaten kurz umreißen?

Anita Sackl: Das Pilotprojekt Community Nursing wird im Rahmen des österreichischen Aufbau‐ und Resilienzplans und mittels der Finanzierung der Europäischen Union österreichweit umgesetzt. Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) verantwortet und leitet das Pilotprojekt auf nationaler Ebene. Eine etablierte Koordinierungsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des Gemeindebundes, des Städtebundes, der neun Bundesländer, des BMSGPK und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) treffen projektbezogene Entscheidungen. Des Weiteren begleitet die GÖG den Implementierungsprozess und die Umsetzung der einzelnen Pilotprojekte. Dies inkludiert Koordinierungsaufgaben sowie die Förderabwicklung, unterstützt in der Projekt- und Leistungsdokumentation und stellt Instrumente zur Verfügung. Ein essenzieller Arbeitsschwerpunkt ist auch die Vernetzungsaktivität der Projekte, der Community Nurses und Akteurinnen und Akteure der kommunalen Gesundheitsförderung in Österreich. Bildungsmaßnahmen unterstützen die fachliche Kompetenzerweiterung der Community Nurses und den Austausch zwischen der Praxis und der Wissenschaft. Des Weiteren wird das Pilotprojekt Community Nursing von einer fachlichen externen Expertise evaluiert.

Nachdem im ersten Schritt die Förderantragstellungen und -abwicklungen abgeschlossen war, nahmen diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen die Funktion der Community Nurses auf. Mit Stand April 2023 waren in 110 Pilotprojekten rund 251 Community Nurses (170 Vollzeitäquivalente) österreichweit aktiv.

Das Aufgaben- und Rollenprofil der Community Nurses im Rahmen des Pilotprojektes Community Nursing orientiert sich methodisch am Public Health Interventionsrad (Public Health Intervention Wheel). Es umfasst folgende Aspekte: 

Community Nurses

  • sind die zentrale Anlaufstelle für Fragen zu Pflege und Gesundheit,
  • führen präventive Hausbesuche durch,
  • informieren und beraten,
  • erheben die aktuelle Versorgung,
  • stellen fest, welche Unterstützung benötigt wird und
  • koordinieren und vermitteln zusätzliche Angebote.

Das Ziel von Community Nursing ist es, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, deren Wohlbefinden zu verbessern sowie den Verbleib älterer Menschen im eigenen Zuhause – nicht zuletzt durch Stärkung der Selbsthilfe auf Seiten Betroffener und deren Angehöriger – zu ermöglichen.

mhz: Wie sehen die ersten Ergebnisse nach der zugegebenermaßen ja noch überschaubaren Laufzeit aus und auf welche Widerstände sind die Community Nurses gestoßen?

Sackl: Die ersten Ergebnisse des Jahres 2022 zeigen eine sich steigernde Entwicklung über die ersten Projektmonate auf. Um einige Ergebnisse zu nennen, Community Nurses hatten etwa 35.240 persönliche und telefonische Kontakte mit den Klientinnen und Klienten. Diese inkludieren nicht die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Informationsveranstaltungen. Im Rahmen der Entwicklungsarbeit wurden rund 350 Fokusgruppen/-interviews geführt oder 86 Windshield-Surveys gemacht. Insgesamt wurden im Jahr 2022 220.994 Kilometer für die diverse Aktivitäten zurückgelegt. Das entspricht mehr als fünfeinhalb Umrundungen des Äquators. Hiervon wurden rund 51 Prozent mit E-Fahrzeugen bewältigt, wobei auf E-PKW der größte Anteil entfiel (109.541 km) und eine Einsparung von 15,5 Tonnen CO2 ‐Äquivalenten erreicht wurde (Anm.: „CO2 ist das bedeutendste Treibhausgas (THG), unter bestimmten Bedingungen können auch andere THG in hohen Anteilen anfallen. Das CO2 ‐Äquivalent beschreibt, wie viel ein THG zum Treibhauseffekt beiträgt.“ (Quelle: Umweltbundesamt.at; 28.06.2023)).

Die Widerstände halten sich in Grenzen und konnten meist mittels Gesprächen und durch besseres Kennenlernen beseitigt werden. Herausforderungen stellen sich den Community Nurses in Zusammenhang von einem noch unbekannten Berufsbild, der Abgrenzung von wahrgenommenen Versorgungslücken in regionalen Settings oder dem Datenschutz. Allgemein ist die Resonanz der Community Nurses sehr gut. Viele sehen in ihrer Tätigkeit als Community Nurse eine Bereicherung und erleben zum ersten Mal die Möglichkeit gesundheitsförderlich wirken zu können; der Berufsbezeichnung entsprechend als Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft.

mhz: Nun gibt es ja auch bestehende Projekte, die ähnliche Zielgruppen ansprechen sollen bzw. auf ähnlich gelagerte Versorgungsprobleme abzielen – wird das Community Nursing da seinen Platz finden?

Sackl: Die Pilotprojekte Community Nursing treffen in Österreich auf diverse Initiativen, Projekte oder Versorgungsstrukturen. Diese umfassen neben den etablierten Mobilen Diensten oder etwa den Primärversorgungseinrichtungen auch den Interventionsansatz Social Prescribing (Anm.: Das Ziel von Social Prescribing ist es gesundheitsbezogene, psychosoziale und emotionale Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten zu erkennen und anzusprechen. Daraus folgend werden Maßnahmen und Aktivtäten zur Verbesserung des Wohlbefindens gesetzt.) oder etwa die „Sorgenetzwerke“ der Caring Communities. Eine essenzielle Aufgabe der Community Nurses ist die Koordination und Vermittlung von Angeboten. Sie ist Teil eines multiprofessionellen Teams und Netzwerkes und kennt das Setting und dessen Angebot im Aktionsradius sehr gut.

Ja, Community Nursing bzw. die Community Nurses werden entsprechend der bereits regional etablierten Angebote die professionelle Position und den Handlungsrahmen finden. Der gehobene Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege verfügt über die fachliche medizinische und pflegerische Expertise, welche in Zusammenarbeit mit weiteren Akteurinnen und Akteuren seine volle Wirkung für eine qualitativ-hochwertige Versorgung der kommunalen Bevölkerung sicherstellen kann.

mhz: Welche Zukunft sehen Sie für die Projekte nach Ende der Projektlaufzeit – auch mit Blick auf eine zukünftige Finanzierung

Sackl: Das Pilotprojekt endet mit 31.12.2024. Die kommenden Monate sind entscheidend für die Verankerung von Community Nursing in der österreichischen Versorgungslandschaft. In den ersten etablierten Pilotprojekten sind Community Nurses niederschwellig, bedarfsorientiert und bevölkerungsnah auf Gemeindeebene tätig. Sie leisten bereits heute einen entscheidenden und wertvollen Beitrag für die Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung.

mhz: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 13-2023. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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