Europäische Medizinprodukteverordnung belastet Medizintechnik- und Gesundheitsstandort

02.02.2024, Prof. Hans Böhme, Healthcare & Hospital Law
Politik & Wirtschaft

Im Dezember 2023 wurde das Ergebnis einer gemeinsamen Befragung von Deutscher Industrie- und Handelskammer (DIHK), MedicalMountains GmbH und Industrieverband SPECTARIS unter dem Titel „Aktuelle Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Auswirkungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR)“ auf 27 Seiten im Internet veröffentlicht.1

Es äußerten sich fast 400 Unternehmen. Die Bilanz ist ernüchternd: Ungelöste Probleme schwächen den Gesundheits- und Innovationsstandort.

  • Über alle 21 abgefragten Anwendungsgebiete und Produktgruppen hinweg erfolgt bei 53 Prozent aller Produktsortimente eine mindestens teilweise Einstellung des Vertriebs der Produkte in der EU. 

  • In fast 20 Prozent der Fälle gibt es nach Angaben der teilnehmenden Unternehmen keine gleichwertigen Alternativen für die eingestellten Produkte am Markt.

  • Unter Nischenprodukten ist der Anteil an nicht kompensierbaren Produkten mit 38 Prozent besonders hoch.

  • Die Hauptgründe für Produkteinstellungen in der EU sind Zertifizierungskosten (91 Prozent) und Bürokratie (74 Prozent).

  • 77 Prozent der antwortenden Unternehmen verzeichnen negative Auswirkungen der MDR auf ihre Innovationsaktivitäten.

  • Die USA sind mit 88 Prozent der bevorzugte Markt für Erstzulassungen von Innovationen.

Zwar wurden Ende 2022 die Übergangsfristen für Bestandsprodukte bis 2027/2028 verlängert, dies ändert jedoch nichts an den strukturellen Problemen. Fast alle Betriebe (97 Prozent) haben Probleme bei der Umsetzung der MDR – insbesondere aufgrund der hohen Kosten- und Bürokratiebelastungen. Unter den Herausforderungen steht mit 67 Prozent der Aufwand zur Anpassung der technischen Dokumentationen ganz oben. Hier sind die Kosten im Durchschnitt um 111 Prozent gestiegen.

Die für den Marktzugang erforderliche Zusammenarbeit mit "Benannten Stellen" stößt laut Befragung ebenfalls auf erhebliche Hindernisse. Die Unternehmen verzeichnen durchschnittliche Kostensteigerungen von 124 Prozent bei Einbindung einer Benannten Stelle.

In 91 Prozent der Fälle sind es die kompletten Zertifizierungskosten, die den Ausschlag geben, Medizinprodukte vom EU-Markt zu nehmen. Gerade Nischenprodukte mit einem kleinen Absatzmarkt können nicht mehr wirtschaftlich vermarktet werden.  Bei 37 Prozent der Unternehmen ist die Verfahrensdauer dreimal so lange wie vor der MDR. In der Folge verzögert sich die Bereitstellung der Produkte massiv.

Deutschland und die gesamte EU drohe abgehängt zu werden – einerseits im internationalen Wettbewerb, andererseits bei der Versorgung mit innovativen, aber auch speziellen und bewährten Medizinprodukten – so die Bilanz der Initiatoren.

In fast 20 Prozent der Fälle gibt es nach Angaben der teilnehmenden Unternehmen für die eigenen gestrichenen Produkte keine gleichwertigen Alternativen am Markt. Für Anwender und Patienten außerhalb der EU bleiben viele dieser Medizinprodukte jedoch weiterhin verfügbar. So vertreiben 58 Prozent der Unternehmen, die Produkte in der EU einstellen, diese weiterhin in Ländern außerhalb der EU – vornehmlich in den USA.
Gerade die Situation der vielen kleinen Unternehmen ist besorgniserregend.

Mit dieser Bilanz gehen DIHK, SPECTARIS und MedicalMountains GmbH nun in den weiteren politischen Dialog. „Die Zahlen müssen Brüssel nun zum schnellen Handeln bringen und kurzfristig zu pragmatischen, grundlegenden Schritten führen“, fordern die Initiatoren.2

 

1 Aktuelle Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Auswirkungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) (dihk.de) im Internet aufgerufen am 13.01.2024.
2 Europäische Medizinprodukteverordnung belastet Medizintechnik- und Gesundheitsstandort | SPECTARIS im Internet aufgerufen am 13.01.2024.

 

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