Referentenentwurf zur Krankenhausreform erntet viel Kritik

26.03.2024, Sven C. Preusker

Der am vergangenen Samstag (16. März) über die (Publikums-)Medien verbreitete Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen“ (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz – KHVVG) hat viel Kritik geerntet. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verfolge mit dem Gesetz drei zentrale Ziele, wie es in dem Entwurf heißt: die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität, die Gewährleistung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung für Patientinnen und Patienten sowie Entbürokratisierung. Der Entwurf beinhaltet die bereits aus den Arbeitsentwürfen (der letzte machte im November die Runde) bekannten Teile, unter anderem der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in der aktuellen Ausgestaltung kritisierten Vorhaltefinanzierung. „Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zeigt, wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach seinen Plan von der Zentralisierung der Krankenhausversorgung umsetzen möchte. Die Stichworte dazu sind: Kleinteilige Struktur- und Personalvorgaben sowie Mindestfallzahlen als Voraussetzung für die Leistungserbringung und dazu eine Finanzierung, die die Universitätskliniken besonders fördert und Grundversorgungskrankenhäuser benachteiligt. Das Konzept der Vorhaltefinanzierung bleibt ohne Änderung gegenüber dem Arbeitsentwurf und damit wirkungslos im Gesetzespaket bestehen“, so der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Außerdem sieht der Verband weiterhin Bestrebungen, die Planungshoheit der Länder auszuhebeln. 

Stoff-Ahnis: gute Ansätze drohen verwässert zu werden

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, sagte zum bekanntgewordenen Entwurf: „Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf besteht die Gefahr in eine Situation zu laufen, in der die vielen guten Ansätze zu einer umfassenden Krankenhausreform soweit verwässert werden, dass die grundlegenden Reformziele am Ende nicht erreicht werden und es heißen könnte: Hier wurde eine große Chance vertan.“

Im Referentenentwurf sind unter anderem die mit der überarbeiteten Protokollerklärung, die ihm Rahmen des Vermittlungsverfahrens zum Krankenhaustransparenzgesetz abgegeben wurde, festgelegten Punkte integriert – konkret sollen Tarifsteigerungen aller Beschäftigtengruppen im Krankenhaus zukünftig zu 100 Prozent bei der Berechnung der Landesbasisfallwerte (LBFW) berücksichtigt werden, und das auch unterjährig, ab dem laufenden Jahr – Nachverhandlungen zu den LBFW sind also zu erwarten, sollte das Gesetz in dieser Form beschlossen werden. Die Berücksichtigung des vollen Orientierungswerts ist laut des Entwurfs erst ab dem kommenden Jahr vorgesehen – von Seiten der Krankenhäuser war darauf rückwirkend für 2022 und 2023 sowie das laufende Jahr gehofft worden, da die Kostensteigerungen in diesen Jahren besonders stark waren bzw. noch sind und daher eine erhebliche Unterdeckung besteht – die DKG geht im laufenden Jahr von 500 Millionen Euro Defizit der Krankenhäuser pro Monat aus. 

Auch der angekündigte Transformationsfonds steht im Entwurf, Start soll 2026 sein, weshalb der eigentlich in diesem Jahr auslaufende Strukturfonds, der die Basis für den neuen Fonds sein soll, bis Ende 2025 verlängert werden soll – allerdings ohne zusätzliche Finanzmittel. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr zuzüglich nicht abgerufener Mittel aus den Vorjahren sollen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt werden, die antragstellenden Länder müssen mindestens die Hälfte der Kosten der Transformationsmaßnahmen tragen – 50 Milliarden Euro würden dementsprechend bis 2035 zur Verfügung stehen. Dabei darf das Geld der Länder nicht aus der Summe der regulären Investitionsfinanzierung für die Krankenhäuser kommen. Förderfähig sollen sein:

  1. Vorhaben zur standortübergreifenden Konzentration akutstationärer Versorgungskapazitäten, wenn diese zur Erfüllung von Qualitätskriterien oder Mindestvorhaltezahlen erforderlich sind,
  2. Vorhaben zur Umstrukturierung eines Krankenhauses, nachdem dieses als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung bestimmt wurde,
  3.  Vorhaben zur Bildung telemedizinischer Netzwerkstrukturen, auch soweit Hochschulkliniken an diesen Vorhaben beteiligt sind,
  4.  wettbewerbsrechtlich zulässige Vorhaben zur Bildung von Zentren zur Behandlung von seltenen, komplexen oder schwerwiegenden Erkrankungen an Hochschulkliniken, soweit Hochschulkliniken und nicht universitäre Krankenhäuser an diesen Vorhaben gemeinsam beteiligt sind,
  5. wettbewerbsrechtlich zulässige Vorhaben zur Bildung von Krankenhausverbünden, Vorhaben zur Bildung integrierter Notfallstrukturen und
  6. Vorhaben zur Schließung eines Krankenhauses oder von Teilen eines Krankenhauses.

Die ursprünglich Level-1i-Klinikem genannten Einrichtungen heißen im aktuellen Referentenentwurf „sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen“ und sollen laut BMG eine zentrale Rolle auf dem Weg hin zu einer sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung spielen. Bestimmt werden sollen sie von den für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörden im Benehmen mit den Kranken-, Ersatz- und Pflegekassen aus dem Kreis der in den Krankenhausplan aufgenommenen Krankenhäuser. Auch neu in den Plan aufgenommene Häuser können als solch eine Einrichtung bestimmt werden. Diese dürfen dann über ihren stationären Versorgungsauftrag hinaus sektorenübergreifende Leistungen nach dem neuen § 115g Absatz 2 SGB V erbringen. Das sind:

  1. ambulante Leistungen aufgrund einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, 
  2. ambulantes Operieren nach § 115b, 
  3. medizinisch-pflegerische Versorgung nach § 115h, 
  4. belegärztliche Leistungen, soweit vom Versorgungsauftrag des Landes erfasst, 
  5. Übergangspflege nach § 39e, 
  6. Kurzzeitpflege nach § 39c. 

Zudem sollen sie auch Leistungen der Kurzzeitpflege, der Tages- und der Nachtpflege nach SGB XI erbringen dürfen. Außerdem sollen sie die neu zu etablierende medizinisch-pflegerische Versorgung (§ 115h SGB V) erbringen dürfen. Die Vergütung der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen soll über ein finanzielles Gesamtvolumen vorgenommen werden, dass, sachgerecht verteilt, als degressive krankenhausindividuelle Tagesentgelte ausgezahlt werden soll.

Hausärzte befürchten „Dammbruch“

Scharfe Reaktionen auf Seiten der Hausärzte hat die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung zur Zulassung dieser sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen zur hausärztlichen Versorgung ausgelöst. Bei festgestellter Unterversorgung oder bestehendem zusätzlichem Versorgungsbedarf in einem Planungsbereich sollen auf deren Antrag zugelassene Krankenhäuser und sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen für das entsprechende Fachgebiet zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt werden, soweit und solange dies zur Beseitigung der Unterversorgung oder zur Deckung des zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs erforderlich ist. Weiter heißt es: „Der Zulassungsausschuss muss sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen nach § 115g Absatz 1 in Planungsbereichen, in denen für die hausärztliche Versorgung keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf deren Antrag zur hausärztlichen Versorgung ermächtigen.“ Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband sieht darin einen „Dammbruch“ und eine „Verstationärung“ der ambulanten Versorgung auf Kosten der Hausarztpraxen und ihrer Patientinnen und Patienten. 

Zum 1. Januar 2027 soll laut des Entwurfs die im Bundesrat zustimmungspflichtige Rechtsverordnung zu Mindestanforderungen zur Krankenhausqualität und Leistungsgruppen, zu beschließen wäre sie bereits bis zum 31.3.2025. Bis Ende 2026 sollen die Leistungsgruppen und Qualitätskriterien, die 2022 in Nordrhein-Westfalen festgelegt wurden, gelten, ergänzt um die Leistungsgruppen Infektiologie, spezielle Kinder- und Jugendchirurgie, spezielle Traumatologie, spezielle Kinder- und Jugendmedizin sowie Notfallmedizin. Die zugehörigen Qualitätskriterien werden in einer Anlage des Entwurfs jetzt über acht Seiten ausformuliert. 

Mindestvorhaltezahlen der einzelnen Leistungsgruppen sollen laut Entwurf mit dem neuen §135f festgelegt werden – Verfahren und Zeitrahmen wie bei der Verordnung zu den Leistungsgruppen. Die Länder würden das als massiven Eingriff in ihre Verantwortung für die Krankenhausplanung begreifen, erwartet die DKG. Sei doch die Absprache eigentlich gewesen, die Leistungsgruppen und deren Bedingungen aus NRW zu übernehmen, wo es keine Mindestzahlen gibt.

Wenn ein anderes Krankenhaus mit Leistungsgruppen in der allgemeinen Inneren Chirurgie und der allgemeinen Chirurgie mehr als 30 PKW-Fahrtminuten bzw. 40 Minuten bei allen anderen Leistungsgruppen entfernt ist, dürfen die Planungsbehörden einem Haus die entsprechende(n) Leistungsgruppe(n) trotz fehlender Qualitätsvoraussetzungen zuweisen – mit der Auflage, die erforderliche Qualität innerhalb von drei Jahren zu erreichen und nachzuweisen. Die DKG sieht auch hier einen Eingriff in die Länderhoheit – in NRW läge das Erreichbarkeitslimit z.B. bei 20 Minuten Fahrzeit. Fraglich ist auch, welche Berechnungsmethode Anwendung finden soll – es gibt mindestens zwei unterschiedliche Modelle, die zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Eine Evaluation des KHVVG soll erstmals Ende 2029 und dann Ende 2034 und 2039 vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen, dem Verband der Privaten Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgelegt werden. 

Zur Prüfung der Krankenhausrechnungen soll das Verfahren 2027 von Einzelfallprüfungen auf strukturierte Stichprobenprüfungen umgestellt werden, das Bundesgesundheitsministerium erwartet dadurch einen Abbau an Bürokratie. 

Strukturprüfungen der Krankenhäuser sollen, ebenfalls mit dem Ziel der Entbürokratisierung, in den neuen §275a SGB V integriert werden. Es sollen Maßnahmen getroffen werden, die auf eine Harmonisierung und Vereinheitlichung der Prüfungen des Medizinischen Dienstes abzielen. In dem Zusammenhang sollen nicht mehr erforderliche Regelungen aus der Übergangsphase der Einführung der Strukturprüfung gestrichen werden.

Zur Unterstützung von Konzentrationsbemühungen und Verbesserungen der Qualität im Bereich der Onkologie soll mit dem Gesetz die Spezialisierung von onkochirurgischen Leistungen gefördert werden. Sofern Krankenhäuser mit ihren Standorten zu den Standorten gehören, die die wenigsten und zusammen 15 Prozent der Fälle mit onkochirurgischen Leistungen in einem Indikationsbereich aufweisen, soll für sie die Abrechnung bestimmter Entgelte bei Fällen, in denen onkochirurgische Leistungen erbracht wurden, ausgeschlossen werden. „Gelegenheitsversorgung“ im Bereich der onkochirurgischen Leistungen soll damit vermieden werden.

Gaß: Entwurf ist eine einzige Enttäuschung

Der DKG-Vorstandsvorsitzende schließt seine erste Reaktion auf den Referentenentwurf wie folgt: „Wenn man den gesamten Gesetzentwurf an den Zusagen des Ministers im Vorfeld misst – Entökonomisierung, Entbürokratisierung, Existenzsicherung für kleine Kliniken – ist das Ergebnis eine einzige Enttäuschung.“

Es räche sich damit bitter, dass Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) immer wieder verweigert habe, sich mit der DKG auszutauschen und mit ihr zusammenzuarbeiten. „Stattdessen hat er sich nur mit handverlesenen Personen, insbesondere aus dem Kreis der Universitätskliniken, beraten. Auch der Versuch der Bundesländer, den Minister über Monate hinweg auf die Bedeutung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung aufmerksam zu machen, ist letztlich ohne Erfolg geblieben.“ Auch Stoff-Ahnis merkte den Mangel an Kommunikation an: „Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es wäre, die Partner der Selbstverwaltung, hier insbesondere die Deutsche Krankenhausgesellschaft und den GKV-Spitzenverband, intensiv in den Reformprozess einzubeziehen. Der GKV-Spitzenverband steht nach wie vor bereit, im Interesse einer nachhaltigen, am Patientenwohl orientierten Reform mitzuarbeiten.“

Nun bleibt abzuwarten, ob erstens das Transparenzgesetz, das ja den Vermittlungsausschuss „überstanden“ hat, am 22. März auch den Bundesrat passieren kann. Und zweitens, ob der KHVVG-Entwurf wie geplant am 24. April im Kabinett verabschiedet wird. Schaut man auf die Entstehungsgeschichte dieser beiden Gesetze, kann bis dahin noch viel passieren.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 05-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

Anzeige
Anzeige