Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz und Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Wo bleiben die Patientinnen und Patienten? Wie können Patientenlotsen helfen?

07.06.2024, Prof. Dr. Gerhard Igl
Gesundheitsversorgung, Interviews & Kommentare, Versorgung, Krankenhaus, Politik & Wirtschaft

Mitte Mai verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf eines Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) und eine Woche darauf das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Versicherte, Berufsverbände, viele Krankenkassen und kommunale Gebietskörperschaften setzten vor allem auf das GVSG, das in einem früheren Referentenentwurf noch zentrale Aussagen zu Gesundheitskiosken, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren enthielt. Der um diese Teile reduzierte Entwurf soll nun ins Gesetzgebungsverfahren gehen. Das wurde und wird vielfach kritisiert.

Was ist der Kern dieser Kritik? Mit den ursprünglich geplanten Vorschriften zu Gesundheitskiosken, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren ging es vor allem darum, die gesundheitliche Versorgung näher an die Patientinnen und Patienten zu bringen, wobei die Schaffung von Gesundheitskiosken und Gesundheitsregionen einem Auftrag des Koalitionsvertrages 2021 – 2025 entspricht. Zum ersten Mal sollte mit den Gesundheitskiosken und Gesundheitsregionen die Möglichkeit geschaffen werden, die kommunalen Gebietskörperschaften in die Verantwortung der Gesundheitsversorgung einzubeziehen und damit auch den sozialen Aspekten dieser Versorgung Rechnung tragen. Aus diesem Grund heißt der Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“. Die Gesundheitskioske sollten sich vor allem mit Beratungsangeboten und Hilfen an prekäre Teile der Bevölkerung wenden. Die Primärversorgungszentren sollten in einer Verbindung mit den Gesundheitskiosken stehen. Mit den Gesundheitsregionen wurde u. a. auf Netzwerke- und Kooperationen regionaler Versorger und des öffentlichen Gesundheitsdienstes gesetzt.

Davon ist, wie gesagt, nichts geblieben. Dabei wäre die Schaffung dieser Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit kommunalen Gebietskörperschaften durchaus nicht ohne Beispiel der im Rahmen der im SGB V geregelten Verantwortung der Krankenkassen für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Solche Beispiele finden sich etwa bei der nationalen Präventionskonferenz und der Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie, oder, direkt ins Versorgungsgeschehen integriert, bei den Kooperationsvereinbarungen über die Zusammenarbeit von Vertragsärzten mit den Jugendämtern zum Kinder- und Jugendschutz. Auch die Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken bindet die Kommunal- und Landesebene ein. All das weist darauf hin, dass eine zeitgemäße gesundheitliche Versorgung nicht mehr ohne die kommunalen Gebietskörperschaften stattfinden kann. Das heißt nicht, dass diese die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung übernehmen könnten. Das bleibt unbestritten nach wie vor das Kerngeschäft der gesetzlichen Krankenversicherung. Aber es ergeben sich an einigen Stellen Berührungspunkte zwischen den kommunalen Aufgaben und den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, bei denen gerade die Nähe zu solchen Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht, die aufgrund besonderer Bedarfe und Problemlagen Schwierigkeiten beim Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben.

Für einige Betrachter dieses gesetzgeberischen Geschehens macht das KHVVG die Tür zu kleineren Hoffnungen auf. Mit dem KHVVG soll es den Kommunen erleichtert werden, kommunale medizinische Versorgungszentren zur Stärkung der lokalen Versorgungsinfrastruktur aufzubauen, so die Aussage in der Begründung des Gesetzentwurfs. Solche kommunalen MVZs können aber keine Aufgaben von Gesundheitskiosken übernehmen und sie können auch keine regionalen Gesundheitsversorgungsstrukturen ersetzen.

Vielleicht bleibt noch eine Hoffnung: Im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 heißt es, dass für Patientenlotsen ein Pfad vorgegeben werden soll, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können. Mit Patientenlotsen könnte Patientennähe erreicht werden. Die Aufgabenvielfalt eines Patientenlotsen erfasst das Gesamtbild des Patienten und seines sozialen Umfeldes mit seinen Beeinträchtigungen und Bedarfen. Dabei konzentriert er sich nicht nur auf die medizinischen und pflegerischen Bedarfe, sondern auch auf die Lösung psychosozialer Problemlagen. Dabei werden auch die An- und Zugehörigen berücksichtigt, insgesamt mit der Zielsetzung, eine somatische und psychische Stabilität zu erreichen und damit die Selbständigkeit und Autonomie zu stärken.

Bisher gibt es keine gesetzgeberischen Intentionen, dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag nachzukommen. Aber es existieren zahlreiche Projekte, zumeist gefördert aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses. Es gilt nun, die Erkenntnisse aus diesen Projekten in Richtung auf eine gesetzgeberische Lösung zusammenzuführen.

Abschließend sei gesagt, dass die hier pauschalierend unter dem Titel „Herstellung von Patient:innennähe“ zusammengefassten Gesetzesanliegen Anliegen des Koalitionsvertrages 2021- 2025 sind. Es ist enttäuschend, wenn nicht gar frustrierend zu sehen, dass der Gesetzgeber diesen Anliegen zurzeit nicht gerecht wird. Deshalb eine weitere letzte Hoffnung: Nach dem bekannten Diktum, dass noch kein Gesetz so aus dem Gesetzgebungsverfahren herauskommen ist, wie es hineingekommen ist, bedarf es aller Anstrengung, den an der Gesetzgebung beteiligten Personen und Instanzen nahezubringen, dass die Anliegen des Koalitionsvertrages ernst zu nehmen und umzusetzen sind.

Prof. Dr. iur. Gerhard Igl war bis September 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Sozialrecht und geschäftsführender Vorstand des Instituts für Sozialrecht und Gesundheitsrecht. Aktuell ist er Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung eines Nationalen Gesundheitsberuferates e.V.

Prof. Dr. iur. Gerhard Igl ist Herausgeber von Recht der Gesundheitsfachberufe, Heilpraktiker und sonstigen Berufe im Gesundheitswesen. Mehr Informationen finden Sie hier.


Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 10-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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