Telemedizin: Versorgung neu denken

18.06.2024, Sven C. Preusker
Veranstaltungen, Krankenhaus, Digital Health, Politik & Wirtschaft

Gesundheit und Gesundheitsstruktur müsse man neu denken, so Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bei der Eröffnung des 14. Nationalen Fachkongresses Telemedizin Anfang Juni in Berlin. Die demographische Entwicklung und der damit einhergehende wachsende Fachkräftemangel sind ein Teil der Gründe dafür – und Telemedizin und Ambulantisierung können Lösungen sein, so Gaß. Digitalisierung sei dafür eine unerlässliche Voraussetzung, und da sieht der DKG-Vorstandsvorsitzende die Krankenhäuser zwar auf einem guten Weg, aber lange noch nicht am Ziel. Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) sei ein gutes Gesetz, es habe die Kliniken §ein Stück weit wirklich vorangebracht“. Allerdings seien die Fristen sehr eng gesetzt und die DKG halte auch nichts davon, jetzt zu sanktionieren – man brauche vielmehr Anreize. Die aktuell schwierige Lage für viele Krankenhäuser führe dazu, das Vorhaben teilweise wieder zurückgestellt würden. Eine stärkere Digitalisierung sei aber unausweichlich, die Häuser würden sonst ins Hintertreffen geraten, auch im Wettbewerb um Fachkräfte. 

Gaß‘ zentrale Botschaft an die Teilnehmer des Kongresses: man müsse wegkommen vom Standortdenken. Der Standortbegriff ziehe sich durch alle Vorgaben für die Krankenhäuser, sei fast schon sakrosankt. Standortbegriff heiße, man müsse Vorhaltungen am Standort haben, ohne die man ansonsten Leistungen nicht erbringen und schon gar nicht abrechnen dürfe. Standort heiße 2.000 Meter – es gebe Krankenhäuser, bei denen Gebäude2.100 Meter auseinanderlägen und die deshalb nicht mehr als ein Standort gewertet würden. Die theoretisch gegebene Möglichkeit für Ausnahmen sei in der Praxis kaum nutzbar, da der GKV-Spitzenverband das nicht wolle. Gaß führte hier ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen an, bei dem ein krankenhausplanerischer Bescheid als nicht zulässig erklärt wurde, da die Entfernung zwischen den Gebäuden vier Kilometer betrug.

Man brauche beim Standortbegriff aber eine Entwicklung – es sei völlig klar, dass man die flächendeckende Versorgung aus den Zentren heraus ohne Vernetzung, zum Beispiel per Telemedizin, mit peripheren Standorten nicht ermöglichen könne. Auch die geplanten sektorenübergreifenden Versorgungszentren würden darauf angewiesen sein. „Wir müssen dafür sorgen, dass Versorgung zulässig wird, also ermöglicht wird, auch, wenn sie nicht ausschließlich am Standort selbst geleistet wird“, so Gaß – und dass diese Leistungen auch finanziert würden. 

Gaß kam auch auf den Innovationsfonds zu sprechen – viel zu wenige der darüber geförderten (Telemedizin)-projekte hätten die Perspektive, Teil der Regelversorgung zu werden – Grund sei, dass man nicht in der Lage sei, die stark standortfokussierten Regeln zu überwinden. „Wenn wir uns davon nicht verabschieden, dann wird es enorm schwierig werden“. Gaß sieht nicht nur theoretische, sondern ganz praktische Potentiale, für die derzeit durchaus auch die Basis gelegt werde. Man verspreche sich viel von der elektronischen Patientenakte und der Zusammenführung von Daten, daraus könnten zum Beispiel Erkenntnisse zur Verbesserung von Therapien gezogen werden – Möglichkeiten, die heute in dem Maße nicht zur Verfügung stünden. Er sieht darin großes Potential zur effizienteren Gestaltung von Versorgung. 

Heute, so Gaß, stelle sich für viele Krankenhäuser die Frage, ob man in Systeme wie Closed-Loop-Medication investieren solle, weil jede Pflegekraft bezahlt werde (Pflegebudget) – er wolle damit deutlich machen, dass es keine durchgängigen, konsequenten Strategien in Regularien und Gesetzgebung gebe. Man müsse die vorhandenen Regelungen neu durchdenken und konsequent darauf ausrichten, mehr Innovationsspielraum zuzulassen, „weniger Regulierung und mehr Gestaltungsspielraum für die Akteure“, so die Forderung des DKG-Vorstandsvorsitzenden. 

Positionspapier vorgestellt

Die DGTelemed stallte beim Kongress ihr Positionspapier „Besser versorgen mit Telekooperation und Telemonitoring“ vor, in dem der Verband die Rolle von Telemedizin für die zukünftige Versorgung beschreibt und klare Forderungen formuliert. „Die Krankenhauslandschaft steht nicht zuletzt aufgrund der Krankenhausreform vor einem eingehenden Strukturwandel hinsichtlich der Spezialisierung einzelner Kliniken und der Bereitstellung von Leistungen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DGTelemed, Prof. Dr. med Gernot Marx. „Telemedizinische Vernetzung ist ein wesentlicher Faktor, um diesen Herausforderungen zu begegnen und zukünftig eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten. Wir müssen allerdings bessere Voraussetzungen für die Etablierung schaffen.“

Konkret fordert die DGTelemed eine stärkere telemedizinische Vernetzung der Krankenhäuser. Kliniken sollten gezielter bei der Implementierung von Telemedizin unterstützt werden. Für eine bessere Marktübersicht brauche es eine herstellerunabhängige Beratungsinstanz, die Krankenhäuser und Krankenhausträger an telemedizinische Lösungen heranführe. Darüber hinaus könne Telemonitoring gerade die Versorgung von chronischen Erkrankungen wesentlich verbessern.

„Beim Telemonitoring brauchen wir flexiblere Zulassungsmöglichkeiten“, so Günter van Aalst, stv. DGTelemed-Vorstandsvorsitzender. „Neben der Herzinsuffizienz sollten auch andere Indikationen davon profitieren. Als DGTelemed fordern wir den Aufbau professioneller Strukturen, um das Telemonitoring in wirtschaftlichere und qualitätsorientierte Größenordnungen zu bringen.“ Telemonitoring stehe in Deutschland noch am Anfang. Im Sinne einer Skalierung plädiert die DGTelemed dafür, jetzt Qualitätsstrukturen zu entwickeln. Ganz entscheidend für eine gelungene Integration des Telemonitorings seien leistungsfähige Telemedizinzentren (TMZ), die in relevanten Größenordnungen Daten sammeln und auswerten könnten. Durch Skaleneffekte könnten TMZ leichter eine hohe Prozessqualität erhalten und Fallkosten reduzieren.

Im Rahmen ihrer Mitgliederversammlung wählten die DGTelemed-Mitglieder einen neuen Vorstand. Den Vorsitz übernehmen weiterhin Prof. Dr. med. Gernot Marx, FRCA, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik RWTH Aachen, sowie Günter van Aalst, Chief Strategy Officer, Vorstandsmitglied und Sprecher des Innovationszentrums Digitale Medizin (IZDM) der Uniklinik RWTH Aachen (Stellvertreter). Weitere Vorstandsmitglieder sind Dr. med. Franz Bartmann, Rainer Beckers, Dr. med. Sandra Dohmen, Dr. med. Daniel Dumitrescu, Annette Hempen, Dr. med. Eimo Martens, Prof. Dr. med. Christoph Schöbel und Dr. med. Jan Anastassis Skuras. 

Telemedizinpreis geht nach Schleswig-Holstein

Auch in diesem Jahr wurde von der DGTelemed wieder der Telemedizinpreis an innovative Projekte verliehen. Auf den ersten drei Plätzen landeten Projekte aus den Bereichen Kinderonkologie, 24-Stunden-Blutdruckmessung sowie digitale medizinische Ersteinschätzung für Patientinnen und Patienten. Der Telemedizinpreis ehrt Institutionen, Einzelpersonen oder interdisziplinäre Arbeitsgruppen bzw. Projektinitiativen, die sich in besonderem Maße in der Telemedizin verdient gemacht haben.

Den ersten Platz belegte das Innovationsfonds-Projekt „Kinderonkologische Untersuchung durch leistungsfähige Telemedizin in Schleswig-Holstein (KULT-SH)“. Das Projekt richtet sich an krebskranke Kinder und Jugendliche, die an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein (UKSH) behandelt werden. Gerade in ländlichen Regionen müssen viele Familien lange Strecken zum Krankenhaus zurücklegen. Der Einsatz von Telemedizin soll dabei helfen, infektiöse Komplikationen zu vermeiden, die Frequenz stationärer Aufenthalte zu reduzieren und Behandlungskosten zu senken. Videosprechstunden und Telemonitoring sollen den Alltag der Patientinnen und Patienten erleichtern. KULT-SH möchte wissenschaftlich nachweisen, inwiefern in der kinderonkologischen Intensivtherapie Vor-Ort-Visiten durch Telemedizin ersetzt werden können.

Auf Platz zwei landete eine Lösung zur 24-Stunden-Blutdruckmessung ohne Manschette der biopeak GmbH. Üblicherweise wird der Blutdruck mit einer herkömmlichen Blutdruckmanschette diagnostiziert. Die Firma biopeak hat ein Wearable (Uhr oder Brustpatch) für eine 24-Stunden Blutdruckmessung entwickelt. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Erfassung relevanter Vitalparameter, ohne den Alltag der Patientinnen und Patienten wesentlich zu beeinflussen. Die Cloudbasierte-Lösung übermittelt einer Arztpraxis automatisch nach 24 Stunden die Daten, sodass die Patientinnen und Patienten im ersten Schritt nicht zurück in die Praxis müssen. 

Den dritten Platz belegte „Der digitale Gesundheitslose“ des Universitätsklinikums Halle (Saale). Das Projekt ermöglicht eine erste mobile medizinische Ersteinschätzung für Patientinnen und Patienten. Diese können ihre Symptome in eine Webanwendung eintragen und erhalten eine Ersteinschätzung ihres Krankheitsbildes und Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen. Patientinnen und Patienten sollen dadurch mögliche Unsicherheiten genommen werden: Ist der Besuch einer Notaufnahme angezeigt oder reicht der Besuch in der Praxis an nächsten Werktag? Sollte ein Besuch in der Notaufnahme empfohlen werden, erhält das medizinische Personal vor Ort vorab Informationen zu den Symptomen, was das Anamnesegespräch vereinfachen und beschleunigen soll.

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 11-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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