Süddeutsche Krankenhäuser in schweren finanziellen Nöten

07.08.2024, Sven C. Preusker
Politik & Wirtschaft, Krankenhaus

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Die aktuelle wirtschaftliche Situation vieler Krankenhäuser in Deutschland ist schwierig. Gerade in Baden-Württemberg ist die finanzielle Lage „so schwierig wie noch nie“, zeigten sich der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Landrat Heiner Scheffold, der Präsident des Landkreistags, Landrat Joachim Walter, und der Präsident des Städtetags, Dr. Frank Mentrup, in einer gemeinsamen Pressemitteilung überzeugt. Landkreistag, Städtetag und BWKG appellieren gemeinsam an Bund und Land, schnell und nachhaltig für eine finanzielle Entlastung der Kliniken zu sorgen. Auch aus Bayern kommen ähnlich Forderungen. „Die Landkreise als Träger der Krankenhäuser brauchen jetzt schnell deutliche Signale des Bundes und des Freistaats, dass man gemeinsam diese nie dagewesene Krise angehen will!“, so die drei Bezirksvorsitzenden des Bayerischen Landkreistags, Ansbachs Landrat Dr. Jürgen Ludwig (Mittelfranken), der Hofer Landrat Dr. Oliver Bär (Oberfranken) und Wilhelm Schneider, Landrat der Haßberge (Unterfranken). Sie vertreten insgesamt 25 Landkreise in Franken. 

„Je länger die dringend notwendige finanzielle Entlastung der Krankenhäuser auf sich warten lässt, desto weiter wachsen die Krankenhausdefizite. Im Jahr 2023 hatte das Defizit mit 670 Millionen Euro schon einen unerwarteten Höchstwert erreicht“, so der Vorstandsvorsitzende der BWKG. 2024 würden den Krankenhäusern nach den Ergebnissen einer BWKG-Umfrage 900 Millionen Euro in ihren Wirtschaftsplänen fehlen, das bedeute insgesamt allein in den Jahren 2023 und 2024 einen Fehlbetrag von über als 1,5 Milliarden Euro. Von den massiven Defiziten seien private, freigemeinnützige und öffentliche Kliniken gleichermaßen betroffen. „Mittlerweile wird es für öffentliche Träger wie Städte und Landkreise immer schwieriger, die Finanzlücken aus eigener Tasche zu schließen“, machen die Präsidenten des Landkreistags und des Städtetags, Walter und Mentrup, deutlich.

Ein paar Beispiele aus Baden-Württemberg verdeutlichen das: Das Ortenau Klinikum weist für 2023 einen Bilanzverlust von etwas über  33 Millionen Euro aus, der Jahresfehlbetrag lag bei 39,8 Millionen Euro – erwartet wurde ein Fehlbetrag von knapp 29 Millionen Euro. Grund für die Differenz sei eine Abweichung zwischen den erwarteten und den realisierten Corona-Ausgleichzahlungen von Bund und Land, hieß es aus dem Klinikum. Die Umsätze der Gruppe sind dabei bereinigt um 2,3 Millionen Euro gestiegen. „Dabei konnte der Rückgang an finanziellen Ausgleichszahlungen von 29,3 Millionen Euro von Bund und Land auf Grund der Sonderbelastungen durch Corona hauptsächlich durch angestiegene DRG-Erlöse und Erlöse Pflegebudget aus der stationären Behandlung, durch höhere Erlöse aus ambulanten Leistungen des Krankenhauses, Erlöse aus Energieausgleichszahlungen sowie durch gestiegene Erlöse aus Wahlleistungen kompensiert werden“, heißt es im Jahresabschluss. Und weiter: „Die Bereitschaft des Gesetzgebers, mehr Qualität, den medizinischen Fortschritt sowie hohe Tarifabschlüsse durch höhere Budgets zu honorieren, war in 2023 erneut nicht erkennbar.“ Damit ist einer der Kernpunkte der Problematik schon beschrieben, ein weiterer wird in einem folgenden Absatz deutlich: „Die Tariferhöhungen lagen 2023 bei durchschnittlich 3,93 Prozent. Der Budgetanstieg betrug aufgrund bundesweiter Vorgabe 4,42 Prozent. Zwischen 1995 und 2023 liegt der Personalkostenanstieg mittlerweile bei rund 48 Prozentpunkten über dem Budgetanstieg. Dies bedeutet, dass die Tarifabschlüsse seit Jahren insgesamt nicht über Budgeterhöhungen finanziert wurden. Die Tarifabschlüsse werden im Rahmen der Tarifautonomie zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern frei ausgehandelt. Die Steigerungsraten des Krankenhausbudgets werden hingegen vom Gesetzgeber zur Wahrung der Beitragssatzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherungen vorgegeben. Die politischen Vorgaben sorgen somit dafür, dass die finanziellen Rahmenbedingungen sich grundsätzlich weiter verschlechtern.“

Auch die RKH Regionale Kliniken Holding und Services GmbH mit Sitz in Ludwigsburg macht Verlust – 2022 waren es minus 2,6 Millionen Euro, für 2023 (der Jahresabschluss wird Mitte 2025 veröffentlicht) erwartet das Unternehmen ein Minus von 24 Millionen Euro. 

Auch das Alb Fils Klinikum rechnet in den Jahren 2024 bis 2028 mit einem Defizit von voraussichtlich mindestens 20 Millionen Euro pro Jahr – „Im Landkreis Göppingen trägt seit Jahren als Alleingesellschafter der Landkreis das komplette jährliche Defizit der AFK GmbH“, so der zuständige Landrat Edgar Wolff dazu. Der Landkreis befinde sich seit Mitte 2023 in einem schwierigen und intensiven Prozess einer systematischen Haushaltskonsolidierung. Dabei sei ein strukturelles Defizitermittelt worden, das seine Ursache in weiten Teilen in Klinikdefiziten habe. „Die abzudeckenden Klinikdefizite bringen den Landkreis an die Belastungsgrenze bzw. drücken diesen an die Wand. Das kann so nicht weitergehen“, so Wolff.

Einvernehmen zur Notwendigkeit einer Krankenhausreform

„Es gibt ein breites Einvernehmen, dass eine Krankenhausreform dringend notwendig ist“, betonte BWKG-Vorstand Scheffold. Mit dem aktuellen Reformvorschlag seien aber weder eine Entökonomisierung, eine Entbürokratisierung noch die Sicherung der flächendeckenden Versorgung zu erreichen. Voraussetzung für eine geordnete Krankenhausreform sei die Stabilisierung der Finanzgrundlagen. Es sei außerdem dringend nötig, die Reform im Konsens zwischen Bund, Ländern, Krankenhäusern und Krankenkassen zu verabschieden. Dabei müsse die Planungskompetenz der Länder eindeutig verankert und vor Verabschiedung eine aussagekräftige Auswirkungsanalyse vorgelegt werden.

Damit es nicht zu einem Kollaps der Kliniken kommt und um die Voraussetzungen für eine Krankenhausreform zu schaffen, fordern Landkreistag, Städtetag und BWKG gemeinsam nachhaltige Verbesserungen von Bund und Land: Um die Lücke zwischen gestiegenen Kosten und Erlösen zu schließen, die in den Inflationsjahren 2022 und 2023 entstanden ist, müsse der Bund die Krankenhausvergütung um mindestens vier Prozent erhöhen. Die Bundesregierung müsse außerdem vorgenommene Kürzungen zurücknehmen und die Fallzahlschwankungen unter Berücksichtigung der Fixkosten fair finanzieren. Zusätzlich müssten künftige Kostensteigerungen vollständig finanziert werden. Die Reduzierung von Standorten und Kapazitäten dürfe nicht über immer größeren finanziellen Druck erzwungen werden – dieser Eindruck ist in den letzten Jahren und gerade seit Beginn der Planung der aktuellen Krankenhausreform bei vielen in der Branche entstanden.

Das Land müsse derweil den gesetzlichen Vorgaben zur Finanzierung der Investitionen gerecht werden. Trotz deutlicher Verbesserungen würden Investitionen noch immer nicht voll finanziert. Um dem Bedarf gerecht zu werden, müsse die jährliche Investitionsfinanzierung um mindestens 300 Millionen Euro erhöht werden. In dieser Forderung sei auch eine Erhöhung der Pauschalförderung enthalten. Sie müsse um mindestens 100 Millionen Euro auf 260 Millionen Euro pro Jahr erhöht werden.

Wenn von Seiten der Bundesregierung nicht schnell Verbesserungen der Betriebskostenfinanzierung kommen, müsse das Land helfen. Erforderlich sei dann ein kurzfristiges Nothilfeprogramm im Volumen von 300 Millionen Euro, das noch in diesem Jahr ausgezahlt werde, so die Forderung von Landkreistag, Städtetag und BWKG.

„Als Träger des stationären Sicherstellungsauftrags betrifft die dramatische Situation der Krankenhäuser die Landkreise und ihre Haushalte direkt und die Auswirkungen werden immer massiver“, machte der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, deutlich. „Allein in den Jahren 2018 bis 2022 haben baden-württembergische Landkreise ihren Kliniken mit insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen. Für das Jahr 2024 rechnen die Landkreise mit Unterstützungsbeiträgen in Höhe von 790 Millionen Euro. Auch in Landkreisen, die in den letzten Jahren umfangreiche, für die Bevölkerung schmerzhafte Strukturentscheidungen getroffen und etwa auch Klinikstandorte geschlossen haben, wird mit Defiziten im zweistelligen Millionenbereich gerechnet. Den Landkreisen, die Klinikträger sind, geht damit finanziell schlicht die Luft aus. Und dies trotz der niedrigsten Bettendichte bundesweit.“ Die von den Landkreisen zur Defizitabdeckung aufgebrachten Mittel würden dabei systemwidrig aus Kreisumlagen stammen. „Systemwidrig deshalb, weil nach der klaren Rechtslage für die Krankenhausfinanzierung allein Bund und Land zuständig sind. Es ist unerträglich, dass Landkreise und über die Kreisumlage die kreisangehörigen Städte und Gemeinden nun seit Jahren schon mit Hunderten von Millionen Euro als Ausfallbürgen für Bund und Land einstehen müssen. Künftig wird dies angesichts der strukturellen Schieflage der kommunalen Haushalte nicht mehr möglich sein. Landkreise, Städte und Gemeinden sind absehbar nicht mehr in die Lage, für die säumigen Schuldner Bund und Land einzuspringen“, so Walter. Ohne rasche Finanzhilfen drohe die Krankenhausversorgung endgültig auf eine abschüssige Bahn zu geraten. Das gleiche gilt synonym auch für die städtischen Träger.

„Inzwischen hat sich die finanzielle Situation der Kliniken so zugespitzt, dass nun darum geht, einen Kollaps der Kliniken zu verhindern“, betonte Scheffold abschließend. Nach den Zahlen des aktuellen BWKG-Indikators erwarten mehr als 83 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser für das Jahr 2024 Defizite. Die Einschätzung der aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Situation ist schlecht und rund zwei Drittel der Klinikleitungen erwarten sogar noch eine weitere Verschlechterung.

Bayern: drei Milliarden Euro Defizit erwartet

Die Landrätinnen und Landräte aus Mittelfranken, Oberfranken und Unterfranken sehen in den Verlusten der Krankenhäuser in Bayern in Höhe von voraussichtlich drei Milliarden Euro im Jahr 2024 eine dramatische Belastung der Haushalte der Landkreise und ihrer Gemeinden. „Die Landkreise als Träger der Krankenhäuser brauchen jetzt schnell deutliche Signale des Bundes und des Freistaats, dass man gemeinsam diese nie dagewesene Krise angehen will!“, so die drei Bezirksvorsitzenden des Bayerischen Landkreistags, Ansbachs Landrat Dr. Jürgen Ludwig (Mittelfranken), der Hofer Landrat Dr. Oliver Bär (Oberfranken) und Wilhelm Schneider, Landrat der Haßberge (Unterfranken). Sie vertreten insgesamt 25 Landkreise in Franken.

Bei einer gemeinsamen Tagung in Wolframs-Eschenbach war die Krankenhauskrise das Hauptthema. Die Lage sei maximal schwierig: Die kommunalen Träger würden zwischen gesetzlichen Pflichten, Wünschen der Bürgerschaft, Personalmangel, Finanznot und politischen Zwängen zerrieben. Die Landrätinnen und Landräte aus Franken sehen es als erforderlich an, dass sich der Freistaat Bayern sehr schnell stärker mit der Notfallversorgung und der Krankenhausplanung, aber auch mit einer besseren Grundfinanzierung befasst. „Das derzeitige Sammeln von Daten und die Organisation von regionalen Gesprächsrunden durch den Freistaat Bayern ist bei Weitem nicht ausreichend. Diese Krise darf nicht länger mit Verweis auf den Bund in Bayern laufen gelassen werden“, betonte Ludwig.

Wenn acht von zehn Krankenhäusern Verluste machen würden, sei das ein Alarmsignal der gesamten Krankenhauslandschaft in Deutschland, so Bär. Der Bund müsse Rahmenbedingungen schaffen, die eine Versorgung in allen Regionen dauerhaft sicherstellen. „In unseren Kliniken wird eine hervorragende Arbeit geleistet, demgegenüber lässt der Bund die Krankenhäuser sehenden Auges dahin darben, mit drastischen und nachhaltigen Folgen“, sagte Bär.

Große Sorgen macht den Landkreischefs zudem, dass immer mehr freigemeinnützige Träger auch große Krankenhäuser schließen oder den kreisfreien Städten und Landkreisen in den Schoß legen, die dann aufgrund ihres gesetzlichen Versorgungsauftrags übernehmen müssen. „Wir verlangen vom Freistaat ja nicht, dass er in die Übernahme der Betriebskosten einsteigt. Der Freistaat muss aber seine Zurückhaltung bei diesem für die Bürger und Kommunen sehr wichtigen und politisch brisanten Thema aufgeben“, so Schneider. Man brauche eine auf die Zukunft ausgerichtete Krankenhausplanung. Man werde dazu auf allen Ebenen weitere Gespräche mit dem Freistaat führen. Die Bürger und Mitarbeiter der Krankenhäuser würden wissen wollen, ob und wie es weitergeht.

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 13-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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