Pflegekompetenzgesetz: Verbände fordern Änderungen

09.10.2024, Sven C. Preusker
Gesundheitsversorgung, Politik & Wirtschaft, Pflege

Der Anfang September bekanntgewordene Referentenentwurf für ein Pflegekompetenzgesetz (PKG) zielt darauf ab, die Fähigkeiten von Pflegekräften zu erweitern, um den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten und die Pflegeversorgung zu verbessern. Der Entwurf enthält auch gesetzliche Grundlagen für schnellere Verhandlungen zwischen Pflegeanbietern und Pflegekassen, um die finanzielle Stabilität der Einrichtungen zu sichern. Zudem sollen Pflegeanbieter laut der geplanten Regelungen Konzepte entwickeln, um Aufgaben an Pflegeassistenten und -hilfskräfte zu delegieren. Pflegeheime und ambulante Dienste sollen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bis zum 31. Dezember 2025 einen Katalog an „erweiterten heilkundlichen Leistungen“ vereinbaren, die Pflegekräfte eigenständig durchführen können. Welche Leistungen die Pflegenden eigenständig durchführen dürfen, soll von ihren erworbenen Kompetenzen abhängen, Voraussetzung soll die ärztliche Diagnose und Indikationsstellung sein. Am 2. Oktober war der Termin für die Verbändeanhörung zum Gesetz, zu dem zahlreiche Verbände Stellung nahmen.

DPR sieht überfälligen Schritt mit dringendem Nachbesserungsbedarf

Der Deutsche Pflegerat (DPR) begrüßte den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Pflegekompetenzgesetz (PKG) als wichtigen Schritt zur Stärkung der Pflegeberufe. Man sehe aber auch dringenden Nachbesserungsbedarf, um die pflegerische Versorgung grundlegend zu verbessern und die Rolle der Pflegefachpersonen nachhaltig zu stärken, hieß es. „Die selbstständige Erbringung heilkundlicher Aufgaben durch Pflegefachpersonen und deren erstmalige gesetzliche Verankerung ist lange überfällig für unsere Profession und ein wichtiger Schritt für eine pflegerische Handlungsautonomie zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland“, betonte Christine Vogler, Präsidentin des DPR, anlässlich der Veröffentlichung der Stellungnahme des Rats. „Die Nutzung der Kompetenzen der Pflegefachpersonen, ihre künftige Möglichkeit zu verschreiben und zu verordnen, sowie die Stärkung ihrer Rolle in der Prävention werten die Pflegeberufe enorm auf. Es wird seine volle Wirkung entfalten, wenn die Kernaufgaben der beruflich Pflegenden sektorenübergreifend gleichberechtigt im Gesetz verankert werden und sie diese generell ohne Ermächtigung durch andere Heilberufe erbringen dürfen. Hier gibt es noch Nachbesserungsbedarf“, so Vogler. Ein eigenes Leistungsrecht für Pflegefachpersonen in der ambulanten und stationären Langzeitpflege sowie im Krankenhausbereich müsse nun folgen, die Möglichkeit der selbstständigen Erbringung von Aufgaben reiche allein nicht aus.

Auch die vorgesehene gesetzliche Stärkung von Mitwirkungs- und Beteiligungsrechten bei Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen für maßgebliche Organisationen der Pflegeberufe auf Bundes- und Landesebene schätzte der DPR als richtig und wichtig ein. Allerdings weiche der Referentenentwurf mit der vorgesehenen Zersplitterung der Vertretung durch mehrere Organisationen deutlich von den Eckpunkten des Bundesgesundheitsministeriums für ein Pflegekompetenzgesetz vom 19. Dezember 2023 ab. Bund und Länder müssten der Profession Pflege im Gesundheitssystem eine Struktur und Stimme geben, um ihre Weiterentwicklung und damit die pflegerische Versorgung der Bevölkerung aktuell und in der Zukunft zu sichern, so der DPR. Es brauche eine hauptamtliche, dauerhaft ausreichend finanzierte Institution als Selbstverwaltung der Profession Pflege, wie im Eckpunktepapier und in der Begründung zum Referentenentwurf beschrieben, um die Interessen der Pflegeberufe auf Bundesebene wirkungsvoll zu vertreten und zu stärken. Der DPR fordert den Gesetzgeber auf, diese Infrastruktur im Pflegekompetenzgesetz zum 1. Januar 2026 zu verankern und den Deutschen Pflegerat dafür vorzusehen.

Der DPR fordert außerdem eine Verlängerung der finanziellen Unterstützung des Rats über den 31. Dezember 2025 hinaus. „Eine Weiterführung des Auf- und Ausbaus des Deutschen Pflegerats mit einer kontinuierlichen institutionellen Förderung ist für die Profession Pflege unerlässlich“, betonte Vogler.

Der DPR begrüßte, dass das Amt des oder der Beauftragten der Bundesregierung für Pflege nun gesetzlich verankert und verstetigt werde, um die Belange der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der beruflich Pflegenden stärker zu berücksichtigen – verbunden mit der Forderung, das Amt unabhängig von Legislaturperioden und Regierungsparteien mit einer hochqualifizierten Pflegefachperson mit Berufserfahrung zu besetzen, ähnlich wie international etablierte „Chief Nursing Officers“. Das Amt sollte sektorenübergreifend im SGB V und SGB XI verankert sein und die Befugnis haben, Gesetze und Verordnungen zur Pflegequalität, zum Pflegepersonal und zu Pflegestandards zu gestalten sowie deren Einhaltung zu überwachen, so der DPR. Dies sollte in Zusammenarbeit mit dem Rat als maßgebliche Organisation der Pflegeberufe auf Bundesebene geschehen.

Der DPR fordert die Politik auf, das Pflegekompetenzgesetz im Gesetzgebungsverfahren zu überarbeiten. „Das Gesetz wird nur dann wirksam sein, wenn es die Kernaufgaben der beruflich Pflegenden gleichberechtigt verankert, die Beteiligungs- und Entscheidungsrechte der Pflegeberufe stärkt, die Rolle der/s Pflegebeauftragten unabhängig von Partei und Legislatur gestaltet, den Deutschen Pflegerat auf Bundesebene vollumfänglich finanziell und personell stützt, die Pflegewissenschaft fördert und das Gesetz sektorenübergreifend angelegt ist. Nur durch eine solche nachhaltige Stärkung der Profession Pflege können wir die Herausforderungen im Gesundheitswesen bewältigen und die Versorgung der Menschen sicherstellen“, schloss Vogler.

DBfK Meilenstein mit Verbesserungsbedarf

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) bewertete den Referentenentwurf zum PKG als „wichtigen Meilenstein für die Aufwertung der professionellen Pflege und für die Sicherung der Gesundheitsversorgung.“ In seiner Stellungnahme forderte der Verband aber auch Nachbesserungen. „Wir haben auf dieses Gesetz lange gewartet – entsprechend waren unsere Erwartungen hoch! Das Pflegekompetenzgesetz ist eines der zentralen Gesetze für die Pflegeberufe in dieser Legislatur“, kommentierte DBfK-Präsidentin Vera Lux den Referentenentwurf. „Mit der Stärkung von Kompetenzen und der Erweiterung von Befugnissen für Pflegefachpersonen wird der Pflegeberuf attraktiver. Es ist einer der wesentlichsten Hebel, um die zunehmenden Versorgungsbedarfe in der Pflege zukünftig auch nur annähernd zu decken. Angesichts unserer demografischen Situation ist es bereits fünf nach zwölf und wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

Verbesserungsbedarf sieht der DBfK beispielsweise im Bereich der Pflege- und Hilfsmittel: Die erweiterten Befugnisse für Pflegefachpersonen seien ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die bloße Berechtigung zur Empfehlung reiche nicht, Pflegefachpersonen sollten eigenständig Pflege- und Hilfsmittel verordnen. Das stärke die Eigenverantwortung, beschleunige die Prozesse und reduziere Bürokratie. Auch die Maßnahmen zur Umsetzung des Pflegeprozesses als pflegerische Vorbehaltsaufgabe begrüße man, jedoch stünden einige Maßnahmen im Gesetzentwurf im Widerspruch dazu. „Die pflegerische Vorbehaltsaufgabe muss konsequent und unmissverständlich für das Versorgungsgeschehen genutzt werden, ohne Kompromisse“, so Lux.

In seiner Stellungnahme drängt der DBfK darauf, dass das angekündigte Gesetz für Advanced Practice Nurses (APN-Gesetz) als Ergänzung zum Pflegekompetenzgesetz schnell auf den Weg gebracht werden müsse. „Gelingt es nicht, in dieser Legislatur auch das APN-Profil einzuführen, so fällt die Bilanz insgesamt eher zu Ungunsten der Kompetenzstärkung des Pflegeberufs aus“, konstatierte Lux. „Denn viele Regelungen im Pflegekompetenzgesetz betreffen den Einsatz von Hilfspersonen und Ehrenamtlichen, ohne eine fachliche Anbindung an professionelle Pflegefachpersonen vorzusehen. Kommt das APN-Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr, besteht das Risiko einer weiteren Deprofessionalisierung in der Pflege. Es ist zudem ein Affront gegen die bereits tätigen APN, die auf das Gesetz setzen und ihre Rollen gestärkt sehen wollen.“ Der DBfK forderte auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung des Berufsbilds der Community Health Nurse. Sie können systematisch und zielgenau zur Prävention von Pflegebedürftigkeit vor Ort und in den Regionen beitragen. Denn es reiche nicht, so ein weiterer Punkt zur Nachbesserung aus Sicht des DBfK, erst bei eingetretener Pflegebedürftigkeit Maßnahmen der Prävention zu ergreifen. Im Bereich der Digitalisierung fordert der Verband gezielte Förderprogramme für Innovationen und den Ausbau digitaler Pflegeanwendungen.

In den Regulierungen zu neuen Wohnformen sieht der DBfK eine Möglichkeit, die Pflege durch Angehörige und professionelle Pflegepersonen besser zu verbinden. „Pflegende Angehörige werden entlastet und pflegefachlich begleitet. Das ist dringend notwendig, damit die Angehörigen unterstützt und sich der Pflegesituation möglichst lange gewachsen fühlen“, so Lux. „Auch die Regelungen zu regionaler Vernetzung bieten eindeutige Chancen für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung.“ Aber auch diese neuen Pflegemodelle und -strukturen erfordern dem DBfK zufolge zwingend pflegeprofessionelles Knowhow. 

Lux  appellierte an den „Mut und Weitblick“ der Politiker, das Pflegekompetenzgesetz nachzubessern und zügig zu verabschieden.“ Wenn in dieser Legislaturperiode zusätzlich das APN-Gesetz folgt, können wir die Profession Pflege um einen entscheidenden Schritt voranbringen“, so Lux.

Der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) und die katholischen Krankenhäuser begrüßen die Regelungen, mit denen Pflegefachkräfte mehr Entscheidungskompetenz in der Praxis erhalten sollen, insbesondere bei erweiterten heilkundlichen Aufgaben im Zusammenhang mit Diabetes, Demenz oder der Wundversorgung. Sie sehen aber noch Verbesserungsbedarf bei der Eigenständigkeit der Pflegefachkräfte. „Es ist überfällig, das Potenzial von Pflegefachkräften voll zu nutzen – das hat die Politik endlich erkannt“, begrüßte Andreas Wedeking, Geschäftsführer des VKAD, das Gesetzesvorhaben. „Endlich wird der Pflegeberuf als Heilberuf mit eigenen beruflichen Kompetenzen anerkannt und das Berufsbild der Pflegefachperson wird klar definiert“, ergänzte Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschland (kkvd). Wedekings Forderung: „Qualifizierte Pflegefachkräfte sollten heilkundliche Leistungen ohne ärztlichen Vorbehalt autonom erbringen dürfen. Obwohl der Gesetzesentwurf wichtige Neuerungen bringt, bleibt die Ausübung erweiterter heilkundlicher Tätigkeiten weiterhin an ärztliche Diagnosen und Anordnungen gebunden. Wenn hier nicht im Sinne der Langzeitpflege nachgebessert wird, ist eine Chance vertan.“

Mit dem Gesetz würden zudem die Vorbehaltsaufgaben der Pflege nun auch in den Sozialgesetzbüchern der Kranken- und Pflegeversicherung verankert. Bislang waren diese Pflegefachpersonen vorbehaltenen Aufgaben nur berufsrechtlich im Pflegeberufegesetz geregelt. Rümmelin: „Die pflegerischen Vorbehaltsaufgaben stellen sicher, dass die Verantwortung für den Pflegeprozess ausschließlich bei Pflegefachpersonen liegt. Damit stärken sie die Qualität der Behandlung und die Patientensicherheit. Damit bei der Behandlung im Klinikalltag die fachliche Kompetenz der Pflegefachpersonen auch konsequent zum Tragen kommt, sind weitergehende Änderungen im Gesetzentwurf nötig. Darauf weisen wir in unserer Stellungnahme hin.“ 

VDAB: Reduktion auf Assistenzfunktion

Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) sieht die Pflege mit dem Gesetz auf die Assistenzfunktion reduziert. Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des VDAB: „Mit dem Gesetzentwurf wird die Pflege auf eine bloße Assistenzfunktion reduziert. Pflegekräfte sind heute längst nicht mehr nur ‚Helfer‘, sondern tragen durch ihre spezifischen Fachkenntnisse entscheidend zur Gesundheitsversorgung bei. Der Pflegeberuf hat, ebenso wie die Medizin, einen klaren Versorgungsauftrag im Rahmen der Daseinsvorsorge, der nicht primär darin besteht, Defizite in anderen Bereichen des Gesundheitswesens zu kompensieren.“ Grundsätzlich sei die Intention des Gesetzgebers insbesondere den Pflegefachpersonen weitreichendere Kompetenzen zuzuschreiben, zu begrüßen. Allerdings könne man in den vorgesehenen gesetzlichen Regelungen kaum Erweiterungen der pflegefachlichen Kompetenz im Rahmen der Leistungserbringung erkennen. Vielmehr würden die vorgesehenen Erweiterungen der Kompetenzen zu einer Entlastung anderer Berufsgruppen wie Ärzten oder des Medizinischen Dienstes (MD) führen. Um eine wirkliche Stärkung des Pflegeberufs zu erreichen, müssten die Verfahren so gestaltet werden, dass Pflegefachpersonen nicht nur zusätzliche Aufgaben anderer Professionen übernehmen, sondern auch die volle Verantwortungshoheit über ihre Entscheidungen und Maßnahmen erhalten, hieß es von dem Verband. Dies würde die Attraktivität des Berufs wesentlich stärker steigern als eine reine Aufgabenverlagerung.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 16-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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