Interview mit DBfK-Präsidentin Vera Lux: vorhandene Ressourcen heben!

18.06.2024, Sven C. Preusker
Pflege, Politik & Wirtschaft

Vera Lux wurde Anfang Juni zur neuen Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) gewählt. Sie war bis Ende 2023 Pflegedirektorin der Medizinischen Hochschule Hannover und seit 2022 Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerats. Vorher war sie unter anderem Pflegedirektorin und Vorstandsmitglied des Universitätsklinikums Köln sowie Pflegedirektorin und Mitglied der Betriebsleitung des Klinikums Darmstadt. Im Interview mit Sven C. Preusker spricht sie über die Zukunft der Profession und ihre neue Rolle beim DBfK.

Sven C. Preusker: Frau Lux, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur Präsidentin des Berufsverbandes für Pflegeberufe. Wie sehen Sie die Pflegeberufe momentan in Deutschland positioniert und welche sind die größten Herausforderungen der nächsten Jahre für die Berufsgruppe?

Vera Lux: Die Pflegeberufe sind in Deutschland nicht hinreichend positioniert. Das fängt an bei der Selbstverwaltung, wo bisher lediglich zwei Bundesländer eine Pflegekammer haben. In zwei anderen Bundesländern wurde die bestehende Pflegekammer wieder aufgelöst und damit eine einmalige Chance auf Selbstverwaltung vertan. Insgesamt ist der Organisationsgrad der Pflege, z.B. in Berufsverbänden und Gewerkschaften, zu gering und damit auch die Macht, um wirksam Einfluss zu nehmen. Ein weiterer Punkt ist der geringe Grad der Akademisierung, die es für eine evidenzbasierte Pflege braucht, will Pflege ernst genommen und als Leistungspartner anerkannt werden. Auch der Einsatz von Technik, Robotik und KI steht erst am Anfang, hier fehlt es an Investitionen zum Ausbau, aber auch an geschultem Personal. In den letzten Jahren hat sich zwar einiges getan, aber wir sind zu spät und laufen den Entwicklungen hinterher.

Die größten Herausforderungen sehe ich im Fachkräftemangel. Die rasanten Entwicklungen in der Medizin und Technik ermöglichen heute komplexe Eingriffe und Therapien, auch bei hochaltrigen Patienten oder in der Pädiatrie. Das geht nicht ohne professionelle Pflege, auch im ambulanten Bereich.

Ohne ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal ist die Versorgung gefährdet. Das spüren wir schon heute, wenn ambulante Dienste keine Patienten mehr aufnehmen können oder Pflegeeinrichtungen Ihren Bewohnern kündigen müssen, weil ihnen das Personal fehlt. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen sich ändern und damit das Image und die Attraktivität des Pflegeberufs. Um dies zu erreichen, ist ein ganzes Maßnahmenpaket (z.B. die Konzertierte Aktion Pflege des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) oder die Landespflegeberichte Niedersachsen-DIP) erforderlich, dafür aber braucht es Investitionen in die Pflege! 

Preusker: Gerade ist ja die Errichtung einer Pflegekammer in Baden-Württemberg vorerst gescheitert, aus der Bundes- und teilweise auch der Landespolitik gibt es aber regelmäßig Aussagen, die den Willen zu einer stärkeren standespolitischen Vertretung der Pflegeberufe bekräftigen. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Lux: Das Scheitern der Pflegeberufekammer wirft uns als Profession nicht nur in Baden-Württemberg, sondern Deutschlandweit zurück. Hinter den Willensbekundungen der Politik stehen in der Regel einzelne Politiker, die von der Notwendigkeit von Pflegekammern und der Selbstverwaltung der Pflege überzeugt sind. Dies war sowohl in Rheinland-Pfalz mit Malu Dreyer der Fall als auch in NRW mit Karl-Josef Laumann. Diese Rückdeckung war gerade bei Gegenwind aus unterschiedlichen Richtungen wichtig, um diesem Standzuhalten. Es braucht also den erklärten Willen der Politik und den verantwortlichen Politikern zum Aufbau von Pflegekammern, dazu die notwendige Anschubfinanzierung in der Anfangsphase sowie ausreichend Zeit zum Aufbau von arbeitsfähigen Selbstverwaltungsstrukturen. Willensbekundungen alleine reichen nicht!

Preusker: Die Ressourcen für die Versorgung werden knapper – sowohl aus finanzieller als auch aus Personalsicht. Wo sehen Sie die Rolle der Pflegeberufe bei der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung in fünf Jahren und welche Weichen müssen dafür gestellt werden?

Lux: Die Reform der Krankenhausfinanzierung wird weitreichende Auswirkungen auf die Pflege haben. Mit dem Ausbau der ambulanten Behandlungen verbleiben in den Krankenhäusern Patienten, die komplex und/oder multimorbid erkrankt sind. Diese haben einen hohen Pflegebedarf und benötigen professionelle Pflege auf hohem Niveau. Im ambulanten Bereich werden wir die Patienten bzw. deren An- und Zugehörige vermehrt anleiten, beraten und schulen, damit sie auch in komplexen Pflegesituationen zu Hause alleine zurechtkommen.

Auch wenn wir nicht gerne darüber sprechen: Mit weniger Geld und Personal im System wird es meiner Einschätzung nach mittelfristig auch zu Leistungskürzungen kommen. 

Es gilt aber auch, vorhandene Ressourcen der Pflege zu heben, denn derzeit werden die diese nicht voll ausgeschöpft. Pflege kann weitaus mehr als sie heute darf. Mit mehr Kompetenzen und Befugnissen und der Heilkundeübertragung kann professionelle Pflege zukünftig mehr Verantwortung übernehmen und Versorgungsprozesse sektorenübergreifend und patientenorientiert steuern. Dazu braucht es Pflege in der Leitung von Gesundheitszentren auf dem Level1i, neue Rollen wie Advanced Nurse Practitioner (APN) und Community Health Nurses (CHN), darüber hinaus eine bundeseinheitliche zweijährige Pflegeassistenzausbildung zur Sicherstellung der Basisversorgung. Pflege muss auch in der Gesundheitsvorsorge und Prävention und in der Gesundheitsinformation eine aktive Rolle einnehmen. Wir setzen uns auf politischer Ebene dafür ein, dass Pflege im Reformprozess eingebunden und gehört wird, um dahingehend Einfluss zu nehmen. Transformation kostet Geld, daher muss Geld aus dem Transformationsfonds auch in die Pflege fließen!

Preusker: Politisch hat sich für die Pflege in den letzten Jahren ja schon einiges getan, der DBfK und andere Organisationen in der Pflege hatten daran großen Anteil. Was ist ihre Vision für die organisierte Pflege und eine Pflegepolitik, die dem Berufsstand und den Herausforderungen gerecht wird?

Lux: Meine Vision für die organisierte Pflege und eine Pflegepolitik: Der Organisationsgrad der Pflege liegt bei über 50 Prozent, es gibt in allen Bundesländern Pflegekammern und dazu eine Bundespflegekammer. Das Pflegekompetenzgesetz ist verabschiedet und dabei noch einmal deutlich erweitert worden. Das BMG hat inzwischen die Position einer/eines Chief Nursing Officer eingerichtet, die eine strategische und beratende Rolle hat und sich auf die Förderung und Entwicklung der Pflegepolitik auf nationaler Ebene konzentriert. 

Die Pflege hat neue Rollen implementiert und ausgebaut. Der ökonomische Wert/Impact von Pflege für die Gesellschaft wird erkannt und wertgeschätzt, professionelle Pflege als Leistungspartner im Versorgungssystem anerkannt. Pflege hat ein neues Selbstbewusstsein erlangt, übernimmt Verantwortung für eine evidenzbasierte Versorgung und arbeitet kooperativ in einem interprofessionellen Team, für eine bestmögliche Versorgung der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen.

Preusker: Vielen Dank für das Gespräch!

Vera Lux ist ehemalige Kinderkrankenschwester, Betriebswirtin und seit 2022 Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerats. Sie ist Co-Autorin des Werkes Zukunft der Pflege im Krankenhaus gestalten.

Dieser Beitrag stammt aus dem medhochzwei Newsletter 11-2024. Abonnieren Sie hier kostenlos, um keine News aus der Branche mehr zu verpassen!

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